Hunger ist schrecklich. Kann man was gegen machen.
Essen zum Beispiel. Bei Karstadt zum Beispiel. Im Restaurant.

Das Restaurant liegt im vierten Stock. Mit Blick auf den Hafen. Der Blick ist das Beste.
Mit weitem Abstand.
Auf Platz zwei kommen die Klos.

Aber ich will ja was Essen.

Ich mag kleine Portionen. Die meisten Gerichte bei Karstadt sind auf Schwerarbeiter in der Montan-Industrie zugeschnitten. Mit Jahreskarte für sämtliche Heimspiele der Cholesterin-Liga.
Also bestelle ich den Kinderteller.

Hinter dem Tresen stehen 200 Kilo Abtropfgewicht. 20 Kilo Schminke. 10 Liter Schweiß. Der Rest…
kann Spuren von Erdnüssen enthalten.

„Der Kinderteller ist nur für Kinder!“

Bin ich ja. Etwas älter zwar, aber noch mit einer Mutter gesegnet – ergo nicht verwaist. Also Kind.

Um Godzillas Tochter an der Essensausgabe nicht zu überfordern, spare ich mir den Hinweis auf diese simple Tatsache und bestelle stattdessen den Seniorenteller.

„Dafür sind Sie wohl noch ein bisschen zu jung.“

Ein Kompliment aus dem Munde einer Dame freut mich.
Zumal es Tage gibt, an denen ich erheblich älter aussehe als ich bin. Aber ich will jetzt diesen Seniorenteller. Charmeoffensive.

„Schöne Frau, wenn ich ausnahmsweise den Seniorenteller bekomme, wird wohl kaum jemand daran sterben.“

Ganz im Gegenteil möchte ich hinzufügen.
Lasse es aber. Humor hat Grenzen.
Godzillas Tochter bläht sich auf wie ein Ochsenfrosch, der durch bloßes Ansehen seine Opfer töten kann.

Ich mache mich kampfbereit.

Von der Maas bis an die Memel
vom Kessel bei Stalingrad bis zu den Kübeln bei Karstadt.

Hinter mir stehen 1.000 Jahre Deutsche Geschichte.

Und drängeln.

Super. Make my day.
Ein Rentner im Kölnisch-Wasser-Rausch rammt mir sein Tablett ins Kreuz.

– Keine Bange. Für dich ist es bald überstanden, Methusalem.

Sage ich ihm.

Methusalem läuft rot an.
Sieht nach Bluthochdruck aus.
Ganz üble Sache. Kann tödlich enden.

Sage ich ihm.

Was für alle an diesem Gespräch Beteiligten ein Vorteil wäre.

Sage ich ihm auch.

Das Rot wird dunkler.
Könnte an der gigantischen Portion Schweinshaxe aus Massentierhaltung mit dioxinverseuchtem Sauerkraut liegen, die auf seinem Tablett wabert.

Sage ich ihm auch.

Das Rot verschwindet teilweise. Sieht jetzt aus wie ein Fliegenpilz.
Der Typ erinnert mich irgendwie an ein Gesicht auf einem Foto in der Zeitung. Von früher. Neben diesem Demjanjuk.

Sage ich ihm auch.

Der letzte Verfechter des 1.000-jährigen Reichs schnappt nach Luft. Und wird ganz weiß. Die Schweinshaxe fällt auf den Boden. Das Sauerkraut legt sich sehr dekorativ daneben.

Ich verzichte auf das Essen. Und gehe aufs Klo. Erstmal eine Rauchen. Ich sitze gerade richtig bequem, der angenehme gastrokolische Effekt des Nikotin macht sich wunderschön bemerkbar.

Sehr entspannend.

Da brüllt eine Sirene los. Wie kann ein mieser kleiner Kasten bloß so einen Krach machen?
Plötzlich stehen drei Dutzend Leute um mich herum. Und reden durcheinander. Ich höre das Wort Brandstiftung.

und springe auf:

Brandstiftung im Kaufhaus? Das hatten wir doch schon mal!

Und dann Ponto und Buback und Schleyer die Landshut in Mogadischu und die Morde in Stuttgart Stammheim. Rasterfahndung und Berufsverbot. Schily als Innenminister und Horst Mahler ist jetzt Nazi. Und der 11. September. Und London und Madrid. Die FDP in der Regierung und das Erdbeben auf Haiti. Wollt ihr mir das etwa auch alles anhängen?

Ich habe Hausverbot bekommen.

Karstadt haben sie dicht gemacht.

Immerhin.

Morgen gehe ich zu Ikea.